Plenarrede: Aktuelle Stunde zum Thema “Einwanderungs- und Zufluchtshauptstadt mit Herz”

In der Aktuellen Stunde des Plenums am 19. Mai 2022 ging es um das Thema “Berlin: Einwanderungs- und Zufluchtshauptstadt mit Herz”.
Meine Rede hierzu können Sie hier anschauen:

Die Rede zum Nachlesen:

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren,

Berlin ist Einwanderungs- und Zufluchtsstadt, Berlin ist Zuhause. Ein Zuhause für Sie und mich, für alle Berliner*innen, ob sie nun ursprünglich aus Kolumbien oder dem Kosovo kommen, aus der Türkei, China, aus Israel, Syrien oder Afghanistan, oder aus Bielefeld oder Baden-Württemberg.
Diese Stadt ist vielfältig und vielseitig – genau das macht sie aus, genau deswegen kommen Menschen nach Berlin und bleiben.

Viele der Berliner*innen sind zugezogen, auch viele von uns hier in diesem Saal. Wir haben uns bewusst für ein Leben in Berlin entschieden, sind gekommen um hier zu studieren, zu arbeiten, eine Familie zu gründen oder ein Start-Up.

Als politisch Verantwortliche ist es unsere Aufgabe, allen Neu-Berliner*innen das Ankommen und das Teilhaben am Leben in dieser Stadt schnell und umfassend zu ermöglichen. Und das bedeutet eine Abkehr von einer Migrations- und Fluchtpolitik, die sich zu lange konzentriert hat auf Sicherheit und sogenannte Integration.

In der Fluchtbewegung aus der Ukraine hat Berlin in den letzten Monaten mal wieder gezeigt, dass wir eine offene Stadt sind und denen Schutz bieten, die ihn auch brauchen.
Hunderte Verwaltungsmitarbeiter*innen und tausende Ehrenamtliche haben schnell und umfassend Versorgung für über 50.000 Geflüchtete aus der Ukraine geschaffen.

Und wir sehen: wenn alle an einem Strang ziehen, dann können wir historische Herausforderungen meistern, dann können wir auch auf eine historische Fluchtbewegung wie diese gut reagieren. Danke an alle, die seit Monaten mit viel Herzblut daran arbeiten.

Nach dieser schnellen Reaktion der letzten Monate geht es nun darum, Strukturen für Geflüchtete langfristiger zu verbessern. Unsere Ideen dafür haben wir als Grüne Fraktion in einem Masterplan “Ankommen und Teilhaben” zusammengetragen. Wir wollen die Bedürfnisse der Geflüchteten in Zukunft deutlicher in den Mittelpunkt stellen und das Ankommen und Teilhaben in Berlin ermöglichen.

Es geht uns hierbei um einen Paradigmenwechsel in der Flucht- und Migrationspolitik. Wir wollen nicht mehr in erster Linie Fragen der Sicherheit diskutieren. Wir wollen keinen sogenannten Integrationsansatz mehr, in dem oft auch eine Idee von Assimiliation mitschwingt. Stattdessen wollen wir unsere Politik so gestalten, dass Geflüchtete in Berlin so schnell wie möglich in unserer Stadtgesellschaft ankommen können.

So wollen wir Zugänge zur gesundheitlichen und pflegerischen Versorgung von Tag 1 an sicherstellen, ausreichend Bildungs- und Ausbildungsangebote schaffen und für eine schnelle Anerkennung von Berufsabschlüssen und Lebensleistungen sorgen. Nur so ist auch ein schneller Zugang zum Arbeitsmarkt möglich. Und auch an der Unterbringung von Geflüchteten muss nach wie vor gearbeitet werden.

Unser Ziel ist hier eine dezentrale und in die Kiezstrukturen integrierte Unterbringung und ein vereinfachter Zugang zum Wohnberechtigungsschein für Geflüchtete, sodass auch sie auf dem Berliner Wohnungsmarkt eine Chance haben.

Und viele von Ihnen werden es in den letzten Tagen schon in der Presse gelesen haben – ja, wir schlagen auch vor, dass wir den 24. August, den Unabhängigkeitstag der Ukraine, in diesem Jahr mit einem einmaligen Feiertag in Berlin begehen.
Rund um dieses Datum finden zudem Angebote für einen ukrainischen Kultursommer statt. Und damit machen wir noch einmal klar und deutlich: Wir zeigen unsere Solidarität, denn: we stand with Ukraine.

Nun sind unter den Menschen, die zu uns flüchten, auch viele besonders Schutzbedürftige – Geflüchtete mit Behinderungen oder chronischen Krankheiten, Geflüchtete, die aufgrund ihrer Hautfarbe oder Sexualität Diskriminierung erfahren. Auch ihnen gilt unsere uneingeschränkte Solidarität. Wir wollen ihnen gute Startchancen bieten – in Berlin oder auch in anderen Bundesländern, sofern es dort gute Unterstützungsstrukturen gibt.

Denn auch wenn Berlin in den letzten Wochen deutlich bewiesen hat, dass wir schnell gute Strukturen aufbauen können zur Versorgung Geflüchteter – langfristig geht es nicht alleine.

Und ja, viele dieser Ideen zu einem verbesserten Ankommen und Teilhaben bedeuten, dass wir zunächst einmal viel Geld in die Hand nehmen müssen. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass eine schnellere Teilhabe nicht nur Geflüchteten viel Frustration erspart, sondern auch dem Staat viele Folgekosten erspart. Dazu muss sich auch der Bund bekennen, meine Damen und Herren!

Die Politik der letzten Jahrzehnte hat dazu geführt, dass sowohl Zugewanderte als auch Geflüchtete über Jahre prekär gelebt und gearbeitet haben – Stichwort Gastarbeiter*innen.
Wir in Berlin haben aus diesen Versäumnissen gelernt und wollen eine Politik machen, die diesen Menschen Chancen und Teilhabe bietet statt Hürden und Frustration.

Bereits in der letzten Legislaturperiode hat diese Koalition damit angefangen: mit der Novellierung des Partizipationsgesetzes haben wir den Weg für eine verbesserte Repräsentation und Teilhabe in der Berliner Verwaltung geebnet.

Für diese Legislaturperiode hat sich unsere rot-grün-rote Koalition vorgenommen, die Einbürgerungszahlen deutlich zu steigern. Höchste Zeit, denn bisher sind ein bis zwei Jahre Wartezeit auf einen Erstberatungstermin noch Alltag. Eine einfachere Einbürgerung ist wichtig, um die Teilhabe so vieler in dieser Stadt zu verbessern. Wir wollen mehr Einbürgerungen und ja wir wollen ein Landeseinbügerungszentrum in dieser Legislaturperiode umsetzen. Doch für uns ist auch klar: Eine Überschrift ist noch lange kein funktionierendes Konzept, und daran gilt es jetzt zu arbeiten!

Wir wollen Berlin attraktiver machen als Einwanderungsstadt, doch wir dürfen nicht vergessen: wir sind ebenso Zufluchtsort für Menschen, die Schutz suchen vor Krieg und Verfolgung.

Im Kontext der Fluchtbewegung aus der Ukraine haben wir nun gesehen, dass rechtliche und administrative Hürden sehr schnell abgebaut werden können. Auch weil es die bessere Antwort ist. Und diesen Standard wollen wir daher auch zum neuen Standard für alle Geflüchteten machen, egal ob sie aus Charkiw oder Aleppo flüchten!

Denn die Verbesserungen und die neuen Standards, die wir jetzt anstreben, sollen für alle Geflüchteten in Berlin gelten. Es ist klar, dass es bereits vor dem russischen Angriff auf die Ukraine Herausforderungen in der Versorgung Geflüchteter in Berlin gab. Ob psychosoziale Beratung oder die dringend notwendige Sprachmittlung bei Arzt- und Krankenhausbesuchen: die Bedarfe sind in vielen Bereichen hoch. Es geht nun darum, die Versorgungssituation generell zu verbessern und diesen Mehrbedarfen gerecht zu werden – auch in finanzieller Hinsicht.

Doch einige Verbesserungen in der Migrations- und Fluchtpolitik gehen über das hinaus, was in unserer Macht als Land Berlin steht.

Zentral ist hier das im Ampel-Koalitionsvertrag beschlossene Chancen-Aufenthaltsrecht, das Kettenduldungen ein Ende setzen soll. Das Chancen-Aufenthaltsrecht muss so schnell wie möglich umgesetzt werden, denn Kettenduldungen nehmen Menschen, die schon so lange in diesem Land leben und längst Teil unserer Gesellschaft sind, die Möglichkeit langfristig anzukommen und teilzuhaben.

Und bis zu einer entsprechenden Regelung auf Bundesebene müssen wir hier in Berlin eine Vorgriffsregelung einführen, wie in anderen Bundesländern schon geschehen. Nur so können wir sicherstellen, dass keine Person abgeschoben wird, die Anspruch auf das Chancen-Aufenthaltsrecht hat.

Meine Damen und Herren, es gibt viele Punkte, an denen wir ansetzen müssen, damit wir das Ankommen und Teilhaben in Berlin erleichtern für alle Menschen, die Berlin bereits ihr Zuhause nennen und alle die, die in Berlin ihr Zuhause suchen werden. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass Berlin weiter solidarisch, bunt und vielfältig bleibt. Lassen Sie uns Berlin für die Menschen, die zu uns kommen, zu dem Zuhause machen, dass wir hier gefunden haben.

Vielen Dank.